150 Dollar in der Tasche und kein Plan: Scott Matthew im Interview

Scott Matthew führt nach eigenen Worten ein seltsames Leben: ein Australier, der nach New York ausgewandert ist und eine Karriere als Sänger und Songschreiber in Europa hat. Im Sommer 2016 habe ich ihn in seinem Heimatviertel Williamsburg getroffen und mit ihm über seine Herkunft, seine Musik und seine weiteren Pläne gesprochen.

Geboren in Australien, dort am Land aufgewachsen, „im Busch“, wie er selber sagt, zog es ihn mit 19 Jahren zunächst nach Sydney, um später in New York zu landen, ursprünglich der Liebe wegen. Das war 1997, 2001 bekam er die Greencard, und ein paar Tage vor unserem Interview hatte er das Aufnahmeverfahren für die US-Staatsbürgerschaft bestanden. Von dieser Tatsache euphorisiert, lautet sein Eingangsstatement dementsprechend: „Ich kann mir im Moment keinen anderen Ort als New York vorstellen.“

War es immer schon dein Traum, nach New York zu ziehen?

Eigentlich kamen viele meiner Einflüsse und Interessen aus England, deshalb finde ich selbst manchmal merkwürdig, dass ich in Amerika gelandet bin. London wäre möglicherweise in manchen Dingen eine bessere Wahl für mich gewesen, denn australische und englische Kultur sind sich sehr ähnlich. Eigentlich fühle ich mich in England mehr daheim als in Amerika (lacht). Ich war in einen Amerikaner verliebt, das war mein ursprünglicher Antrieb. Als ich hier hergekommen bin, habe ich es geliebt und alles dafür getan, um zu bleiben. Nun bin ich schon so lange hier und denke etwas anders darüber, aber mittlerweile ist es auch irgendwie mein Zuhause geworden.

Kannst du sagen, was New York so speziell macht?

Als ich das erste Mal hergekommen bin, war es ganz speziell. Als ich noch in Australien war, habe ich mich sehr unterdrückt gefühlt, sowohl in meiner Kindheit als auch in der Pubertät. Ich habe mich total unverstanden und nirgendwo zugehörig gefühlt. Und als ich dann das erste Mal nach New York gekommen bin, verspürte ich ein unglaubliches Freiheitsgefühl, das von der Stadt ausging. Es hat sich mittlerweile verändert, aber damals war es noch nicht die große Geldmaschinerie, die es heute ist. Es gab viel kreative Energie und Freiheit, speziell im Vergleich zu meiner vorherigen Situation. Alles war extrem aufregend, und neu, und groß, und extrem, damals war es so schön extrem (lacht).

So extrem, kannst du das näher erläutern?

Extrem, aber im positiven Sinne. Es gab viele verrückte Subkulturen, auch Alkohol und andere Substanzen gehörten dazu. Auch wenn damals schon die polizeilichen Kontrollen anstiegen, herrschte eine Freiheit, die es einem ermöglichte, sich zu amüsieren und gut zu fühlen. Außerdem war alles viel billiger, wenn ich heute herziehen würde, könnte ich es mir nicht mehr leisten.

Ist es hier teurer als in Australien?

Australien ist extrem teuer, schlimmer noch als New York. Als ich vor einem Jahr dort war, war ich schockiert.

Und in Sydney wolltest du nicht bleiben?

Es war natürlich besser als dort, wo ich aufgewachsen bin. Heute finde ich es schön, aber damals als Jugendlicher wollte ich Aufregung, Kultur und Extreme. Ein wenig davon habe ich in Sydney gefunden, aber es war mir nicht genug, deshalb bin ich weggegangen.

Hast du die vorhin angesprochene Unterdrückung auch in Sydney gespürt?

Ja natürlich, Sydney ist genauso Australien. Ich fühlte mich dort freier, aber gleichzeitig auch sehr isoliert, da ich mich immer noch nirgendwo zugehörig fühlte. Das wunderbare an New York ist, dass jeder dazu gehört und niemand dazu gehört. Alle sind so unterschiedlich und vielfältig. Diese Stadt ist ein Schmelztiegel aus verschiedenen Kulturen und Menschen mit total unterschiedlicher Herkunft und mit allen möglichen finanziellen Backgrounds. Es war wunderbar, aber mittlerweile hat es sich ein wenig verändert, denkst du nicht auch?

Welche Veränderungen sprichst du an?

Zum einen wurde es immer teurer, was zur Folge hatte, dass Leute, die hier hergezogen sind, um kreativ zu sein, es sich nicht mehr leisten konnten, hier zu wohnen. Genau das ist in meiner Nachbarschaft passiert. Ein Gebäude, eine alte Fabrik, wurde verkauft, und der neue Besitzer hat die Miete verdreifacht. Und der Inflationsanstieg deckt sich nicht damit, wieviel Leute bezahlt bekommen. Im Rahmen des Präsidentschafts-Wahlkampfs ist Bernie Sanders mit guten Ideen gekommen, wie man solche Dinge bekämpfen kann, etwa das Minimumgehalt auf 15 Dollar pro Stunde zu erhöhen, was absolut notwendig ist, denn jetzt sind es glaube ich 7,25 Dollar, wovon niemand leben kann. Ein weiterer Punkt ist, dass die Kontrollen immer mehr werden. Es gibt extrem viele Vorschriften, und im Laufe der Jahre hat die Polizei immer mehr Macht bekommen, schön langsam wird New York zu einem Polizeistaat. Aber natürlich hat alles Vor- und Nachteile, dafür ist es nun viel sicherer. Aber es macht nicht mehr so viel Spaß (lacht).

Es ist nicht so, dass ich New York als einzige Option für mein Leben sehe, aber so lange ich nichts anderes finde, bleibe ich hier. Es ist merkwürdig, da ich hier keine richtige Karriere habe (lacht). Meine Karriere existiert nur in Europa, also lebe ich nicht wirklich aufgrund der kreativen Seite hier.

Das ist interessant, hast du eine Erklärung dafür, warum der Erfolg nur in Europa greift?

Ich habe keine solide Begründung dafür, aber einerseits arbeite ich schon sehr lange mit einem Management, das in Berlin sitzt und hauptsächlich auf Europa ausgerichtet ist, und mein Hauptlabel ist auch aus Europa. Sprich, ich habe dort ein gutes System am Laufen. Ich habe es hier auch probiert, aber es hat nie richtig funktioniert. Ein weiterer Punkt ist, dass die Musik, die ich mache anscheinend in bestimmten Regionen mehr geschätzt wird als hier. Der Zuspruch des Publikums ist in Europa viel höher als in Amerika, warum auch immer. Vielleicht wird diese Art von, sagen wir romantischer und melancholischer Musik in Europa mehr geschätzt.

Spielst du auch hier Konzerte?

Ja, aber in letzter Zeit nicht so viele, mehr in Europa. Es ist seltsam, dass ich mir ausgesucht habe, hier zu leben (lacht). Aber nochmal wo einen Neustart zu wagen, erscheint mir sehr anstrengend. Speziell, wenn es sich um einen Ort handelt, wo eine andere Sprache gesprochen wird. Ich bin nicht sehr gut im Sprachen lernen, und ich möchte nicht noch mehr missverstanden werden, als es sowieso schon der Fall ist (lacht). Außerdem habe ich so viel auf mich genommen, um hier zu leben, habe mich um die Greencard und Staatsbürgerschaft bemüht. Wo anders hinzugehen, würde bedeuten, das alles wegzuschmeißen. Schließlich ist es eine fantastische Stadt, und ich will sie jetzt nicht runtermachen. Ich liebe es hier, man kann sich immer noch sehr wohl fühlen.

Wie war eigentlich dein Start hier, hattest du einen Plan, einen Job?

Nein, ich hatte keinen Plan, ich hatte 150 Dollar in meiner Tasche und keinen Plan (lacht). Aber das war die Unbekümmertheit der Jugend, die es mir erlaubt hat, spontan zu sein und alle Bedenken über Bord zu werfen. Nun bin ich nicht mehr so jung, um so etwas nochmal zu wagen. Außerdem müsste ich hier viel zurück lassen. Ich habe wundervolle Freunde hier, die ich fast als Familie bezeichnen würde.

Weil du gerade von Familie sprichst. Gibt es einen Platz, der für dich Heimat ist? Ist es immer noch Australien?

Ich denke schon. Wenn ich wirklich wählen müsste, dann würde es nicht Amerika sein. Das letzte Mal, als ich in Australien war, hatte ich eine Art Erleuchtung und habe es geliebt. Ich habe eine große Verbindung gespürt, das erste Mal in meinem Leben. Ich war für einen Monat dort, wir haben ein paar Konzerte gegeben, und den Rest der Zeit bin ich einfach nur mit meiner Familie und meinen Freunden rumgehangen. Es war wundervoll, Australien ist erwachsen geworden, vor allem im Vergleich zu meinen Erfahrungen dort. Eigentlich denke ich, dass ich keine richtige Heimat habe, aber wenn ich wählen müsste, dann wäre es am ehesten Australien.

Deine Familie lebt also dort.

Ja, sie leben alle sehr nahe beisammen, meine Eltern, meine Tante, meine Schwestern und deren Kinder. Ich bin der einzige der gesagt hat: Ich bin ein Star, holt mich hier raus! (lacht)

Apropos, wie ist dein Bekanntheitsstatus in Australien?

Nun, meine Mutter denkt, ich bin ein Star (lacht). Ich weiß es nicht, ich bin keine allgemeine Berühmtheit, wie Sia (lacht). Aber unsere Shows gehen ganz gut in Australien, etwa in Sydney und Melbourne. Ich kann es nicht genau sagen, ich glaube, ich bin nirgendwo richtig berühmt.

Außer in Österreich oder Deutschland…

Ja, vor allem in Wien und Berlin nimmt man mich sehr gut auf, und auch in Portugal, das war´s aber dann auch schon. Ich habe wirklich das seltsamste Leben, ein Australier, der in New York lebt und eine Karriere in Europa hat. Man kennt mich nur an einigen wenigen Orten, ich mache Musik, die nur einen bestimmten Schlag Mensch berührt, aber diese Menschen leben anscheinend nicht überall (lacht). Aber ich bin dennoch dankbar, dass zumindest einige Leute gerne meine Musik hören, das ist toll.

Gibt es spezielle Orte, an denen du Songs schreibst?

Hauptsächlich in meinem Apartment.

Also kannst du dort auch etwas lauter sein?

Es ist interessant, dass du das sagst. Ich konnte Lärm machen, bis etwa vor einem Jahr. Ich wohne im vierten Stock, und im Stock über mir war ein Lager. Es machte ihnen nichts aus, wenn ich Lärm machte, und umgekehrt war es genauso. Der fünfte Stock wurde dann renoviert und es zogen Leute ein. Über mir wohnt nun jemand von TV on the Radio, kennst du die Band? Und die sind nicht gerade nett zu mir, weil sie sich dauern beschweren, wenn ich zu laut bin. Ich habe zusammen mit Rodrigo Leão eine Platte gemacht. Als ich den finalen Mix bekommen habe, musste ich ihn mir anhören. Es war vier Uhr nachmittags, und natürlich war es ein wenig laut. Die Nachbarn hämmerten an die Zimmerdecke und schrien, ich sollte Ruhe geben. Sie haben selbst eine Band und machen ständig Musik, aber aus irgendeinem Grund scheinen sie meine Musik nicht zu mögen und müssen durch ihren Protest zeigen, dass ihre Musik besser ist, keine Ahnung. Ich fühle mich nun also sehr beschränkt, daher gehe ich manchmal in die Wohnung einer Freundin im dritten Stock, um dort zu spielen.

Und du spielst und schreibst mit der Gitarre?

Mit der Gitarre oder Ukulele, aber meistens Akustikgitarre.

An der Laustärke kann es also wirklich nicht liegen.

Wie kann ich laut sein? Pling-Plong, lala, der leiseste Scheiß der Welt (lacht, und imititiert leises Gitarrengezupfe). Naja, zurück zum Thema. Manchmal schreibe ich auch, wenn wir auf Tour sind, aber prinzipiell schreibe ich gar nicht so viel. Ich versuche gerade, an einem neuen Soloalbum zu arbeiten, dass ich etwa Mitte nächstes Jahr herausbringen will. Also muss ich neue Songs dafür schreiben, ich habe bisher erst sechs (lacht).

Aber hast du Zeitdruck?

Ich bin besser, wenn ich eine Deadline habe. Wenn ich keine habe, tendiere ich dazu, lieber in die Bar, an den Pool oder an den Strand zu gehen, und dann geht nichts weiter. Aber wenn ich weiß, dass ich etwas tun muss, um eine Lebensgrundlage zu haben, dann tue ich auch was. Meine eigene Deadline sagt mir: wenn ich keine Songs schreibe, kann ich nicht auf Tour gehen, und wenn ich nicht auf Tour gehe, verdiene ich kein Geld. Diese Deadlines dienen also nicht nur dazu, Dinge zu erledigen, sondern auch dafür, Geld zu verdienen.

Du verdienst also hauptsächlich durch die Konzerte?

Ja, in erster Linie. Aber momentan habe ich auch keinen Verlag, das ist gut, weil ich dadurch die Einnahmen nun direkt bekomme, alle sechs Monate, das hält mich über Wasser. Aber leider bin ich nicht reich. Ich habe begonnen, in der Lotterie zu spielen, da gibt es jede Woche Millionengewinner. Ich wäre gerne ein Millionär und möchte mir ein Haus am Land kaufen (lacht).

Nimmst du deine Songs auch in New York auf?

Ja, abgesehen vom letzten Album, das ich in Lissabon gemacht habe, habe ich alle Aufnahmen in New York gemacht. Die ersten zwei Alben in einem Studio in Williamsburg, eines in Bushwick und eines in Dumbo, also habe ich fast alle Alben in Brooklyn aufgenommen.

Gibt es hier besonders gute Studios?

Ja, wobei wir nichts sehr Ausgefallenes brauchen. Es muss kein großes Studio sein, wir nehmen alles auf separaten Spuren auf, daher brauchen wir nur einen kleinen Aufnahmeraum, gute Mikrofone und einen Tontechniker, den ich aber immer selbst engagiere. Da wir nicht viel Geld haben, bereiten wir uns durch die Proben bestmöglich vor und nehmen dann in maximal sieben Tagen alles auf.

Lebt deine Band auch hier?

Ein paar, Gary zum Beispiel, aber unser Produzent Jürgen lebt in Berlin, und ich denke, wir werden auch beim nächsten Album wieder zusammen arbeiten, er ist großartig. Und dann gibt es noch Sam, der Cello spielt und in London lebt und immer auf Tour mit uns geht.

Kannst du dir vorstellen, eines Tages wieder nach Australien zurück zu gehen?

Nun, sag niemals nie. Ich habe eine romantische Vorstellung von mir, auf dem Land zu leben, aber ich weiß nicht, wo das ist. Ich denke, ich würde wohl überall hinziehen, wenn es das richtige Haus ist. Ich habe eine Obsession für alte Architektur, und ich hätte wahnsinnig gerne ein altes Schloss oder Herrenhaus, etwas Prachtvolles, Weitläufiges und Friedliches. Das ist meine Idealvorstellung, und ich möchte das gerne hier finden. Australien ist einfach geografisch so weit weg von Europa, das würde finanziell keinen Sinn ergeben, dort zu leben. Also denke ich, dass ich nicht in Australien leben würde. Aber vielleicht irgendwo in Europa. Ich mag viele Orte dort, ich liebe die englische Landschaft, und Portugal ist ein tolles Land, dort fühle ich mich irgendwie zugehörig. Auch die österreichische Landschaft ist sehr schön. Aber jetzt muss das mal mit der Staatsbürgerschaft hier durchgehen, und dann werde ich sehen, wohin das Leben mich führt, aber fürs erste bleibe ich mal hier (lacht).

Eineinhalb Jahre nach unserem Gespräch brachte Scott Matthew 2018 sein neues Album „Ode To Others“ heraus, das er derzeit gerade in Europa live präsentiert.